„Ich dachte, wir wären gleichberechtigt…“

Vor kurzem bekam ich eine Anfrage von der Agentur für Arbeit. Ich soll im nächsten Jahr einen Vortrag für junge Frauen halten – Frauen, die noch keine Kinder haben.

Und weißt Du, was sie mir erzählt haben? Dass viele junge Frauen in Bewerbungsgesprächen nach ihrer Familienplanung gefragt werden.

Im Jahr 2025.

Echt jetzt?

Dieser Moment hat mich sehr nachdenklich gemacht. Denn er zeigt: Nicht nur Mütter werden im Job benachteiligt. Schon die bloße Möglichkeit, Kinder zu bekommen, reicht aus, um Frauen im Berufsleben anders zu behandeln.

Genau deshalb schreibe ich diesen Artikel. Ich möchte meine Erfahrungen teilen – nicht, weil sie außergewöhnlich wären, sondern weil sie ein Muster sichtbar machen. Damit klar wird: Wir Frauen sind nicht allein. Es ist nicht unsere Schuld. Es ist das System, das uns strukturell und absichtlich benachteiligt.

Vom Glauben an Gleichstellung zur Realität

Mit Anfang 20 war ich überzeugt: Gleichstellung sei längst erreicht. Feminismus und Emanzipation – das klang für mich nach etwas, das zu einer anderen Generation gehörte. Ich dachte: „Ich bin genauso gut wie meine männlichen Kollegen und kann alles erreichen, wenn ich mich nur anstrenge.“

Heute, 20 Jahre später, sehe ich die Dinge anders. Meine Erfahrungen als Mutter und ganz grundsätzlich als Frau im Berufsleben haben mir gezeigt: Die Strukturen sind nicht gleich. Männer und Frauen werden noch immer unterschiedlich bewertet, befragt und behandelt.

Diskriminierung im Job: Erfahrungen, die das System sichtbar machen

Ich teile hier exemplarisch ein paar Situationen aus meinem Berufsleben, die deutlich zeigen, wie unser Gesellschaftssystem wirkt:

Nach meiner zweiten Elternzeit wollte ich mich beruflich neu orientieren. Und plötzlich drehten sich meine Gedanken um Fragen wie: Soll ich die Kinder im Lebenslauf erwähnen? Wie überzeuge ich im Gespräch, dass die Betreuung organisiert ist? Welche Stundenanzahl darf ich nennen, ohne gleich aussortiert zu werden? All diese Fragen musste sich mein Mann nie stellen, obwohl er Vater der Kinder ist und sie ebenfalls betreut.

Oder die dritte Schwangerschaft, in der ich aufgrund von Komplikationen ins Beschäftigungsverbot musste. Für mein Kind war das notwendig, für mich eine schwere, aber klare Entscheidung. Als ich zurückkam, bekam ich zu hören: „Du machst deinen Job nicht mehr richtig.“ Kein Signal, dass wir das gemeinsam schaffen. Stattdessen Abwertung.

Hinzu kam, dass ich mit viel Mühe Betreuungsstrukturen aufgebaut habe, um nach einem Jahr wieder einzusteigen: zwei Tagesmütter, später die Großeltern, dazu ständige Abstimmungen mit meinem Mann. Denn: einen Platz in der Betriebskita hatte ich für Kind Nr. 3 nicht bekommen. Die Reaktion im Job? Ein knappes: „Freitags ist eigentlich Teamtag, aber da kannst du ja nicht dran teilnehmen.“ Kein Danke, kein Verständnis. Nur eine neue Hürde.

Und dann kam Corona. Drei Kinder zuhause, Homeschooling, gleichzeitig Homeoffice. Ich funktionierte, bis es nicht mehr ging. Ich wurde krank, musste reduzieren, eine Projektleitung abgeben. Die Folge: keine Gehaltserhöhung, obwohl sie in Aussicht gestellt war und unabhängig von der Funktion war. Die Begründung: „Du leitest ja kein Projekt mehr.“

Wie unterschiedlich Vereinbarkeit in anderen Ländern geregelt ist, habe ich übrigens am Beispiel Frankreich vs. Deutschland hier beschrieben: Blog Artikel Deutschland vs. Frankreich

Benachteiligung von Frauen ist kein Einzelfall

Wenn ich diese Situationen heute betrachte, sehe ich: Es sind keine individuellen Missgeschicke. Sie stehen für ein Muster, das viele Frauen kennen.

Frauen mit Kindern gelten als unzuverlässig, weil sie zu oft fehlen könnten. Frauen ohne Kinder werden nach ihrer Familienplanung gefragt – und gelten als Risiko. Männer dagegen werden für ihr Engagement zuhause gelobt, während Frauen sich rechtfertigen müssen.

Das alles ist kein Zufall. Es ist ein strukturelles Problem.

Was das mit uns macht

Viele Frauen reagieren so, wie ich es selbst lange getan habe: Sie denken, dass sie selbst schuld sind. Sie haben sich ja für Kinder entschieden. Oder sie denken, sie müssten sich noch mehr anstrengen, noch perfekter funktionieren… Und: beweisen, dass sie belastbar sind.

Doch die Wahrheit ist: Es liegt nicht an Dir.

Die Regeln dieses Systems sind nicht für uns Frauen gemacht.

Mein Weg und meine Haltung heute

Irgendwann habe ich begonnen, meine eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen. Muss ich wirklich immer alles gleichzeitig und perfekt schaffen: Job, Kinder, Haushalt, Partnerschaft? Muss ich mich rechtfertigen, wenn ich Pausen brauche? Muss ich beweisen, dass ich „trotz Kindern“ genauso leistungsfähig bin?

Heute weiß ich: Nein.

Es ist nicht unsere Aufgabe, uns in ein System zu pressen, das uns nicht mitdenkt. Unsere Aufgabe ist es, die Strukturen, die uns Frauen behindern, sichtbar zu machen – und mutig unseren eigenen Weg zu gehen.

Drei Botschaften für Dich

  • Du bist nicht allein. Viele Frauen machen ähnliche Erfahrungen.
  • Es ist nicht Deine Schuld. Die Benachteiligungen sind strukturell. Das System ist schuld, nicht Du.
  • Du darfst Deinen Weg gehen. Ohne Schuldgefühle, ohne ständige Rechtfertigung – so, wie es für Dich passt.

Fazit

Mit Anfang 20 dachte ich: Wir sind gleichberechtigt.

Heute weiß ich: Wir sind es nicht. Noch nicht.

Aber wir können beginnen, die Strukturen zu hinterfragen und uns gegenseitig zu stärken. Denn wir Frauen verdienen es, beruflich und privat unseren eigenen Weg zu gehen, egal ob mit oder ohne Kind, egal ob in Beziehung oder allein, sondern: frei, selbstbewusst und ohne schlechtes Gewissen.

👉 Welche Erfahrungen hast Du gemacht?

👉 Hast Du auch schon gespürt, dass nicht Du, sondern das System das Problem ist?

Teile Deine Gedanken gerne.

Und wenn Du mehr darüber wissen willst, warum ich diesen Blog schreibe und warum ich Frauen in meinen Coachings begleite, dann lies gerne hier weiter:  Warum Frauen ihre Meinung oft nicht äußern

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Über mich

Hallo, ich bin Anne – systemische und feministische Coachin und Mutter von drei Kindern. Mich bewegen die Fragen, wie Frauen selbstbestimmt leben, ihre Stärken entdecken und ihren Platz in Beruf und Gesellschaft finden können.
Wenn du mehr über mich und meinen Weg erfahren möchtest, schau gern hier vorbei.

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